Die Butzbacher Zeitung schreibt über die Weidigschule Butzbach

Herzlicher und emotionaler, aber weniger pünktlich in Kolumbien

Luis Fernando Tavera Rojas ist Gastschüler an der Weidigschule Butzbach / An deutsche Kultur angepasst

BUTZBACH (thg). In wenigen Tagen wird der Kolumbianer Luis Fernando Tavera Rojas 18. Seinen Geburtstag feiert er in Butzbach, denn er ist zurzeit Gastschüler an der Weidigschule. Er absolviert noch bis Schuljahresende im Juli ein Auslandsjahr mit der Austauschorganisation American Field Service (AFS).
Am Butzbacher Gymnasium besucht er die Jahrgangsstufe 11 und ist im Physik-LK eingetragen. Dabei ist der junge Mann in seiner Heimat gar kein Schüler mehr, wie er im Gespräch mit der BZ und dem zuständigen Lehrer Matthias Lepper berichtet. Aufgrund des unterschiedlichen Schulsystems in Kolumbien ist er bereits an der Universität und kehrt dorthin auch wieder zurück. Dort lernt er im Bereich Naturwissenschaft und in Richtung Wirtschaft. „Es läuft auf eine Karriere hinaus“, beschreibt er die Ausbildung.
Deutschland hat er sich als Ziel ausgesucht, weil bereits Cousins und auch eine Tante solch einen Austausch absolviert haben. Es war sein Wunsch, Auslandserfahrungen zu machen, ein anderes Land und einen anderen Kontinent kennenzulernen. Mittlerweile funktioniert die Verständigung auf Deutsch immer besser. Über AFS erhält er Sprachstunden bei einer Privatlehrerin in Langgöns, die aus Chile stammt. Vorkenntnisse hatte er nicht, so dass er in der „Welcome Family“ zu Anfang seines Aufenthalts zunächst nur Englisch sprach. Inzwischen ist er in einer Familie in Butzbach mit zwei Weidigschülern zu Gast, in der es das Ziel ist, „zu 100 Prozent“ Deutsch zu sprechen. Neben Grammatik-Unterschieden und den Vokabeln machen ihm in der neuen Sprache die vielen verschiedenen Artikel und ihre Fälle die meisten Probleme. Dass er spanischer Muttersprachler ist, kommt aber auch den Weidigschülern zugute. Unter anderem soll er beim Vorlesewettbewerb der Spanisch-Schüler die Jury unterstützen.
Seit Oktober ist der Südamerikaner in Deutschland. Mit seiner Gastgeber-Familie und (Schul-)Freunden hat er schon viel unternommen. Dazu gehörte neben Frankfurt auch ein Besichtigungsprogramm zum Bei- spiel in Marburg, Wetzlar oder Friedberg, aber auch Trier. Einige Aktionen finden in der Austausch-Gruppe des AFS statt. So besteht auch die Überlegung, zum Karneval nach Köln oder Mainz zu fahren. In seiner Freizeit begann er zunächst, Basketball zu spielen, nach einer Verletzung am Bein macht er aber derzeit Pause und hofft, bald wieder einzusteigen.
In die deutsche Kultur und das Zusammenleben hat sich Tavera Rojas inzwischen eingefunden. Unterschiede zwischen Kolumbien und Deutschfand gibt es unter anderem beim Essen. Drei warme Mahlzeiten gibt es täglich in Kolumbien, unter anderem bereits das Frühstück mit Eiern, Pancakes und Maisgebäck. Was der Gastschüler vorher nicht kannte, aber mittlerweile mag er sehr gern Schnitzel.
Unterschiede stellt er auch im Umgang der Menschen untereinander fest. So geht es in seiner Heimat herzlicher oder mit mehr Emotionen zu. Das fängt schon morgens an, mit Umarmungen der Familienmitglieder oder Küsschen auf die Wange. Auch auf Feiern oder Partys in Deutschland hat er festgestellt, dass der Umgang der Menschen untereinander eher ruhiger und zurückhaltend ist, während in der Heimat alle mehr aus sich herausgehen, singen und tanzen.
Zudem verbringt die Familie auch gern Zeit miteinander. Das gilt auch etwa für die Fahrten zur Schule mit dem eigenen Auto, nicht nur weil die Entfernung dort groß ist oder wegen möglicher Gewaltvorfälle, sondern damit’man zusammen ist. Die Hauptstadt Bogotä ist etwa zwei Stunden mit dem Auto entfernt von Tavera Rojas Heimatstadt etwa von der Größe Frankfurts. Aber dort in die Innenstadt zu gelangen, ist wegen des hohen Verkehrsaufkommens schwierig.
Viele seiner Routinen hat der 17-Jährige in Deutschland also aufgeben müssen. Doch hat er sich angepasst. In Kolumbien ist beispielsweise der Schultag anders gegliedert, auf vierstündige Unterrichtsphasen folgt eine halbe Stunde Pause vor weiteren vier Stunden Schule. Ein Thema spricht er mit einem Schmunzeln an: Pünktlichkeit. So gebe es die Vorstellung, Japaner kämen fünf Minuten vor dem Termin an, Deutsche genau rechtzeitig und Kolumbianer eine Viertelstunde später.
Den Aufenthalt in Europa will Tavera Rojas auch noch für weitere Reisen nutzen. Gut gefällt ihm, dass es einfach ist, mit dem Zug zu fahren. So und mit den verbesserten Sprachkenntnissen freut er sich über seine zunehmende Unabhängigkeit.

Butzbacher Zeitung, 11.02.2023

BUTZBACH. Noch bis zum Ende des Schuljahres ist Luis Fernando Tavera Rojas am Butzbacher Gymnasium zu Gast. In seiner Heimat Kolumbien hat der 17-Jährige bereits ein Studium aufgenommen.

Text + Foto thg