Die Butzbacher Zeitung schreibt über die Weidigschule Butzbach

„Menschen lernen nicht aus dem Elend”

Zeitzeugenberichte und Texte von Weidigschülern im Museum Butzbach „Menschheit ohne Menschlichkeit“

BUTZBACH (thg). Das Gedenken und Erinnern, der Aufruf zum Frieden und der Schutz der Demokratie standen am Donnerstag im Museum der Stadt Butzbach im Mittelpunkt. Unter der Überschrift „Menschheit ohne Menschlichkeit“ gab es einen Zeitzeugenbericht der Butzbacherin Anneliese Funk zu den Bombenangriffen unter anderem vom 9. März 1945, Texte von Weidigschülern des Jahrgangs 13 zum Krieg und einen Bericht von Ulrike von Vormann, Jahrgang 1947, über die Nachkriegszeit und den Umgang mit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen. Die gesamte Veranstaltung stand im Zeichen des „Reallabors Demokratikum“.
Bürgermeister Michael Merle begrüßte mehr als 70 Zuhörer in der Industriehalle. Gekommen war unter anderem Karl Starzacher, Vorsitzender des Landesverbands des Volksbunds Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Denn die Weidigschüler hatten ihre Texte am vergangenen Volkstrauertag auf Einladung des Volksbunds in der Paulskirche vorgetragen. „Nie wieder Krieg“, so Merle, sind die letzten Worte auf dem Gedenkstein für die Butzbacher Bombenopfer auf dem Friedhof. Krieg bedeute Leid, Tod und Hass. Für Frieden und Völkerverständigung wolle man sich einsetzen. Man wolle ein friedvolles, geeintes Europa nicht aus den Augen verlieren. Als Dank für ihr Engagement erhielt die Weidigschule ein Präsent für die Schulbibliothek.
Susanne Lindenthal vom Museum führte in den Zeitzeugenbericht ein. In einem Projekt des Museums waren mehrere Butzbacher bereit, ihre Erinnerungen an die Zeit des Zweiten Weltkriegs vor laufender Kamera zu erzählen. Die Filme, unter anderem von Anneliese Funk, können im Museum angesehen werden.
In ihrem Bericht geht die Butzbacherin Funk darauf ein, wie sie als Zwölfjährige den Bombenangriff vom 26. November 1944 auf Butzbach erlebte. Nur weil sie „ungehorsam“ gewesen sei und beim Fliegeralarm nicht von der BDM-Stunde nach Hause gegangen sei, habe sie überlebt. Das Elternhaus sei im Angriff zerstört worden, sie sei über Trümmer und Tote geklettert, erst ihr Onkel habe sie stoppen können.-Ihr Bruder sei an der Haustür gewesen und ihre Mutter auf dem Weg in den Keller, als das Gebäudegetroffen und sie getötet worden seien. In der Erinnerung an das Bombardement vom 9. März 1945 hat sie immer noch den „Schlag“, den sie im Keller verspürte, und den Satz: „Die Schols sind weg.“ Die Familie kam um, die kleinste Tochter hatte nur kurze Zeit noch überlebt, das Haus sei „wie wegrasiert“ gewesen.
In vier Gruppen trugen die Weidigschüler ihre Texte vor, die sie, wie Lehrerin Andrea Schreiber-Guth sagte, in einer Arbeitsgemeinschaft zur Vorbereitung des Volkstrauertags im Rahmen der Friedenserziehung am Butzbacher Gymnasium erarbeitet hatten. Beteiligt waren Lara. Bartschner, Pauline Brod, Jasmin Diehn, Linda Fritzsche, Ewald Hild, Xenia Hofmann, Kimberley Jozic, Celine Jung, Johanna Mack, Ben Metzger, Mathis Römer, Svea Schäfer, Lelia Ulm, Juli-an Wagner und Svenja Wirth.
Zitate von Politikern zu Frieden und Demokratie und ihre Gedanken dazu trugen die Schüler vor. „Auch wenn wir alle Menschen sind – es fehlt leider zu oft die Menschlichkeit“, lautete ihr nachdenklich stimmendes Fazit. Ausgehend vom Gedicht Kanonenfutter von Anke Maggauer-Kirsche machten sich die Gymnasiasten grundsätzliche Gedanken über den Krieg: „Wenn wir nach jedem Krieg feststellen, däss er eigentlich zu nichts gut war, wieso passiert er dann doch immer und immer wieder?“ Ihr Appell lautet: „Unser Wille zu Frieden und Freundschaft muss stärker sein als der zu Habsucht und Gier.“
In einem Gespräch über „Social Media und Krieg“ machten die Schüler deutlich, dass sie Videos aus dem Krieg in der Ukraine geradezu in Echtzeit aufs Handy bekommen. „Es ist schon sehr beängstigend, dem Leid der Menschen dauerhaft ausgesetzt zu sein.“ Junge Leute seien in der Lage, sich zu informieren und auch Fakenews zu erkennen, wenn sie im Hinterkopf behalten, mit welchen Intentionen Beiträge gepostet werden.
Mit der Widerstandskämpferin Sophie Scholl beschäftigten sich die Schüler. Und sie wollen sie sich zum Vorbild nehmen: „Wir werden wohl in der Lage sein, den Mund aufzumachen, wenn Menschen wie beispielsweise Sophie Scholl, die keine Meinungsfreiheit erfahren durften, die in keiner Demokratie lebten, es geschafft haben.“
Zahlreiche Aspekte des Nachkriegslebens zählte von Vormann auf. Ausgehend von Erlebnissen ihrer Mutter lernte sie schon früh, dass Krieg etwas Schlimmes ist und wie froh sie sein konnte, dass er vorbei war. Sie erinnerte an die Versehrten, die zum Stadtbild gehörten, die Albträume und Ängste der Kriegsteilnehmer, wenn die Panzer der Amerikaner durch die Stadt rollten.

Die größten Probleme seien zunächst die Nahrungsmittelversorgung, Kleidung, der Wiederaufbau und die Familien-Zusammenführung gewesen. Zunächst verstand sie nicht, dass ihr Vater weinte, wenn er im Radio von den Spätheimkehrern hörte.
Ihre Oma habe immer ein Plätzchen für Heimatlose gehabt. Sie habe ihnen zu essen und auch mal ein Kleidungsstück gegeben. „Es waren gute Männer, die nicht mehr ins Leben zurückgefunden haben.“ Das Erzählen vom Krieg sei den Menschen wichtig gewesen. Es sei für sie wie eine Aufarbeitung der Vergangenheit gewesen.
Auch auf den Elysee-Vertrag und die deutsch-französische Freundschaft blickte von Vormann. Bedeutung habe für sie eine Zeile aus Marlene Dietrichs „Sag mir, wo die Blumen sind. „Wann wird man je versteh’n?“ und zog den Schluss: „Menschen lernen nicht aus dem Elend.“

Butzbacher Zeitung, 11.03.2023

BUTZBACH. Im Museum trugen Weidigschüler in vier Gruppen ihre Texte zum Thema „Menschheit ohne Menschlichkeit“ vor.

Text + Fotos: thg

BUTZBACH. Ulrike von Vormann, geboren 1947, erinnerte an die Nachkriegszeit.