Die Butzbacher Zeitung schreibt über die Weidigschule Butzbach
Ein Schauspieler, zehn Rollen, 40 Jahre deutsche Geschichte in 45 Minuten
Tino Leo gastiert mit „Einigkeit und Recht und Freiheit“ zur 1848er-Revolution in der Weidigschule Butzbach
BUTZBACH (thg). 40 Jahre deutsche Geschichte in 45 Minuten: Das vermittelt der Schauspieler und Autor Tino Leo in seinem Theaterstück „Einigkeit und Recht und Freiheit“ über die Revolution von 1848/49. In dem Ein-Personen-Stück spielt der Leiter der Schauspielschule Mainz gleich zehn Rollen. Und das funktioniert offensichtlich sehr gut. Denn kürzlich spielte er vor Schülern in der Weidigschule und erhielt dafür großen Applaus.
50 Aufführungen an Schuren standen schon im Terminkalender Leos. Unter anderem vor Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Tag der ‚Deutschen Einheit und vor Ministerpräsident Boris Rhein ist er rund um das Paulskirchen-Jubiläum aufgetreten. Das Stück ist eine Auftragsarbeit des Landes zu diesem Anlass und dem Revolutions-Gedenken.
Leo geht es mit den Aufführungen nicht nur um die Geschichte. „Gerade in der heutigen Zeit“ möchte er für die Demokratie werben, zeigen, dass sie geschützt werden muss. Das macht er an den Beispielen von Menschen fest, die sich für die Einführung der Demokratie eingesetzt haben.
In der Rolle des Adam von Itzstein, Freiheitskämpfer und Abgeordneter der Paulskirche, lässt er auf seiner Flucht als gesuchter Hochverräter die Zeit des Vormärz und der Revolution Revue passieren. Neben Mitstreitern des Demokraten verkörpert er auch die Widersacher wie Metternich oder den Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. Die schnellen Wechsel der Rollen macht der Schauspieler deutlich etwa mit Veränderungen in der Stimme von eindringlich flehend über herrschaft-ovial bis aggressiv. Oder er nutzt den Tisch und einen Stuhl, die auf der Bühne stehen — unter anderem als „Bärrikaden“. Seinen Auftritt beginnt er als Itzstein mit der Jakobiner-Mütze der Mainzer Republik auf dem Kopf.
Das Stück macht das Spannungsverhältnis zwischen der hungrigen Bevölkerung und den Staatsoberen deutlich. Es zeigt aber auch die unterschiedlichen Positionen innerhalb der Gruppe der Befürworter der Demokratie von radikal bis gemäßigt, wenn Leo die Diskussionen Itzsteins mit seinen Mitstreitern wiedergibt.
Die Bewegung mündet in die Paulskirchen-Versammlung mit den drei Lagern Demokraten, Liberale als Befürworter einer konstitutionellen Demokratie und Konservativen, für die alles mehr oder weniger beim alten bleiben soll. 236 Sitzungen in 13 Monaten werden abgehalten. In der Bevölkerung schwindet zunehmend der Rückhalt für die Versammlung, weil die „wirklichen Probleme“ des Alltagslebens nicht gelöst werden. Es kommt zum Aufstand in Frankfurt, eine deutliche Schwächung tritt ein. Der Preußenkönig macht aus seiner ablehnenden Haltung kein Geheimnis. Die Verfassung wird nicht von allen Staaten angenommen.
Und am 23. Juli 1849 endet mit der blutigen Niederschlagung in Rastatt die badische Revolution als letzte Bewegung in diesem Zusammenhang. Leo hält dazu im Stück die schwarz-rot-goldene Fahne zusammengerafft wie ein Baby in den Armen und weint darüber. Er macht aber Hoffnung, dass die prägenden
Wurzeln der Verfassung nicht folgenlos bleiben. 100 Jahre später wird das Grundgesetz verabschiedet. Für das Theaterstück hat Leo ausführlich recherchiert, wie er im Gespräch mit deri Schülern erläuterte. Neben wissenschaftlicher Fachliteratur waren auch zwei Universitätsprofessoren seine Quellen. Das Stück, das er Von 55 Seiten in der Erstfassung auf nun zwölf Seiten kürzen musste, wurde auch entsprechend abgenommen. .
Zusätzlich bezog Leo seine Inspiration auch von den Orten des Geschehens. So besuchte er das Haus Itzsteins in Hallgarten. Nur zwei Kilometer davon entfernt hatte Metternich sein Schloss Johannisberg. Die künstlerische Freiheit nahm er sich bei der Darstellung der Personen. Dass es sich um ein Ein-Personen-Stück handelt, ist im wesentlichen praktischen Gründen geschuldet. So seien Termine einfacher zu vereinbaren als mit mehreren Schauspielern und es sei auch preiswerter. Keine Schule werde sich eine Aufführung mit vier Schauspielern leisten können. Die derzeitigen Aufführungen von „Einigkeit und Recht und Freiheit“, die über das Land gebucht sind, sind kostenlos. Neben Hessen stehen auch der Landtag Rheinland-Pfalz und die Zentralen für politische Bildung beider Bundesländer hinter dem Stück. Wird das Stück später noch gebucht, muss dafür bezahlt werden.
Auch auf Fragen nach seinem Werdegang und zum Einstieg in den Beruf des Schauspielers antwortete Leo. Unter anderem ist er auch Spre cher in Hörspielen oder Werbespots und ist Coach. Seine Art der Geschichtsvermittlung ist „Histotainment“. Eine besondere Ein-Personen-Herausforderung hat Leo schon früher gemeistert. In der Nibelungen-Sage spielte er 14 Rollen.
Butzbacher Zeitung, 15.07.2023
BUTZBACH. Der Autor, Schauspieler und Coach Tino Leo stellte eindringlich die Spannungen in Vormärz und Revolution dar.
Text + Fotos: thg
BUTZBACH. Eine Schulstunde lang verfolgten die Schüler in der Mensa der Weidigschule die Theateraufführung zur Revolution von 1848/49.